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Facebook-Posts können verraten, wer an Depressionen leidet

von Robbie Gonzalez
Menschen, die an einer Depression leiden, kommunizieren anders auf Facebook. Daher lässt sich anhand ihrer Posts eine Prognose machen, ob sie eine entsprechende Diagnose erhalten werden. Das haben Forscher nun in einer aufwendigen Studie herausgefunden. Aus ihren Erkenntnissen könnte theoretisch ein medizinisches Screening-Tool werden – wären da nicht die vielen Datenschutzskandale.

Die 2,2 Milliarden User von Facebook teilen über die Plattform alle möglichen Informationen: Verlobungen, Einladungen zu Partys, politische Fake News, Katzenfotos. Die Art und Weise, wie die Posts formuliert werden, könnte aber auch noch versteckte Informationen enthalten – und zwar über die psychische Gesundheit der Nutzer. Das wollen Forscher nun herausgefunden haben.

In der aktuellen Ausgabe von Proceedings of the National Academy of Sciences haben Wissenschaftler analysiert, wie sich die Studienteilnehmer bei ihren Facebook-Status-Updates sprachlich ausdrücken, um damit zukünftige Diagnosen von Depressionen vorherzusagen. Die Forscher sagen, dass ihre Technik zu einem Screening-Tool führen könnte, das Menschen identifiziert, die psychologische Unterstützung und eine fachliche Diagnose benötigen.

Auch ehrliche Forscher nutzen Facebook-Daten

Schon seit Jahren untersuchen Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen Aktivitäten auf Facebook und dem psychischen Zustand der Nutzer – oft ohne die Zustimmung der zu untersuchenden Personen. Anfang dieses Jahrzehnts führten Wissenschaftler von Facebook und Cornell eine berüchtigte Studie zur emotionalen Ansteckung durch, die die Stimmungen und Beziehungen von mehr als einer halben Million Facebook-Nutzern ohne ihr Wissen untersuchte. In jüngster Zeit nutzte Cambridge Analytica unrechtmäßig gewonnene Daten von rund 87 Millionen Facebook-Nutzern, um Persönlichkeitsprofile zu entwickeln, die es Marketern und politischen Kampagnen ermöglichen sollen, effektivere Werbung zu schalten.

Doch trotz dieser umstrittenen Beispiele nutzen viele Wissenschaftler weiterhin ehrliche Forschungsmethoden, um auf die Daten von Facebook zuzugreifen. Zum Beispiel indem sie die Studienteilnehmer um ihre Einwilligung bitten, um einen einmaligen Zugriff auf ihre Daten und Kontoinformationen zu bekommen. Der Aufwand ist enorm. Es kann Jahre dauern, bis eine ausreichend große Stichprobenpopulation auf diese Weise rekrutiert ist. Doch die Mühe kann sich für die Sozialwissenschaftler lohnen. Viele sehen nämlich die Fülle der Nutzerinformationen auf Facebook als die bedeutendste Datenquelle in der Geschichte ihres Fachgebiets an.

Facebook-Posts werden mit Machine Learning analysiert

„Wir verstehen immer besser, dass das, was Menschen online tun, eine Form des Verhaltens ist, die wir mit Machine-Learning-Algorithmen lesen können, so wie wir jede andere Art von Daten auf der Welt lesen können“, sagt der Psychologe Johannes Eichstaedt von der University of Pennsylvania. Er ist einer der Autoren der PNAS-Studie und Mitbegründer des World Well-Being Project, einer Forschungsorganisation, die untersucht, wie die Worte, die Menschen in sozialen Medien verwenden, ihren psychologischen Zustand widerspiegeln.

Um zu untersuchen, ob Sprache auf Facebook eine Depressionsdiagnose vorhersagen kann, benötigten Eichstaedt und seine Kollegen Zugang zu zweierlei Arten von Daten, auf Social-Media-Konten und elektronische Krankenakten. Im Laufe von 26 Monaten wandten sie sich an mehr als 11.000 Patienten in einer Notaufnahme in Philadelphia und fragten, ob sie bereit seien, ihre Gesundheitsdaten und bis zu sieben Jahre alte Facebook-Status-Updates mit den Forschern zu teilen.

Etwa 1.200 Patienten stimmten zu. Von diesen hatten 114 medizinische Akten, die auf eine Depressionsdiagnose hindeuteten. Jedes Jahr erkrankt etwa jeder sechste Amerikaner an einer Depression. Um dieses Verhältnis in ihrer endgültigen Forschungspopulation zu reproduzieren, verglichen die Forscher jede Person mit einer Depression mit fünf Personen ohne eine entsprechende Diagnose. Damit hatten die Forscher am Ende noch einen Pool von 684 Teilnehmern. Anhand von mehr als einer halben Million Facebook-Status-Updates dieser Personen ermittelten die Forscher die am häufigsten verwendeten Wörter und Formulierungen und entwickelten einen Algorithmus, um die so genannten depressionsassoziierten Sprachmarker zu erkennen.

Sie fanden heraus, dass Menschen mit Depressionen in den Monaten vor ihrer klinischen Diagnose mehr in der „Ich“-Form kommunizierten und mehr Wörter verwendeten, die Feindseligkeit und Einsamkeit widerspiegeln. Durch das Training ihres Algorithmus zur Identifizierung dieser Sprachmuster waren die Forscher in der Lage, zukünftige Depressionsdiagnosen bis zu drei Monate vor ihrem Auftreten in den Krankenakten als formale Erkrankung vorherzusagen.

Ein wichtiger Fortschritt, aber noch nicht perfekt

Die Beobachtung der Forscher, dass depressive Personen „Ich“-Sprache verwenden, deckt sich mit Ergebnissen aus früheren Studien, einschließlich solcher, in denen Nutzungsmuster in den sozialen Medien mit selbst gemeldeten Depressionen in Verbindung gebracht wurden. Aber dies ist die erste Studie, die die Sprache, die Menschen auf Facebook verwenden, mit klinischen Diagnosen anhand von Krankenakten vergleicht. „Das ist ein wichtiger Fortschritt“, sagt Matthias Mehl, Forschungspsychologe an der University of Arizona, der untersucht, wie der Sprachgebrauch den psychologischen Zustand einer Person widerspiegeln kann, „aber die Vorhersagen sind noch lange nicht perfekt.“ Die Wahrscheinlichkeit des Algorithmus, Symptome einer echten Depression zu erkennen, sei höher als die Wahrscheinlichkeit eines Fehlalarms – aber bei weitem nicht hoch genug, um eine formelle Diagnose zu ersetzen.

Eichstaedt stimmt zu. „Es wäre unverantwortlich, mit diesem Werkzeug zu sagen: Du bist depressiv, du bist nicht depressiv“, sagt er. Es könnte aber Menschen identifizieren, die mit erprobten und oft teureren Screening-Methoden fortfahren sollten. Er fügt hinzu, dass zukünftige Studien die Ergebnisse seines Teams erst noch in größeren, vielfältigeren Populationen reproduzieren müssen. Die Teilnehmer an dieser Studie waren überwiegend schwarze Frauen.

Datenschutzskandale könnten weitere Forschung erschweren

Das setzt voraus, dass die Menschen bereit sind, ihre Äußerungen in den sozialen Medien analysieren zu lassen. Genau das könnte angesichts der vielen Datenschutzskandale bei Facebook schwierig werden. Und selbst wenn die Menschen damit einverstanden sind, ihre persönlichen Daten weiterzugeben, sagt Eichstaedt, dass man ihre Vorhersagekraft erst dann verbessern kann, wenn man sie mit einer anderen Form von Daten kombiniert: Herzfrequenz, Aktivität oder Schlafgewohnheiten zum Beispiel – die alle immer häufiger von Wearables aufgezeichnet werden.

„Ein gutmeinender Diktator würde all diese Datenströme verbinden und für das Gemeinwohl nutzen“, sagt Eichstaedt. Aber die moralischen und ethischen Werte der größten Technologieunternehmen stehen heute mehr denn je auf dem Prüfstand. Es ist daher nur schwer vorstellbar, dass ein Screening-Tool wie dieses bald auf Facebook oder einer anderen Social-Media-Plattform vorgestellt wird.

WIRED.com

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.com
Das Original lest ihr hier.

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