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„Spiele sind eine neue Sprache“: Die Dokumentation „GameLoading“ begleitet Indie-Entwickler

von Oliver Klatt
Videospiele sind das Medium unserer Zeit. In ihnen treffen Film und Musik, Sport und Performance, neue Technologien und traditionelle Kunst aufeinander. Besonders in der Independent-Szene wimmelt es von experimentierfreudigen und ungewöhnlichen Game-Machern. Für ihre Dokumentation „GameLoading: Rise Of The Indies“ haben die australischen Filmemacher Lester Francois und Anna Brady in den vergangenen drei Jahren elf Städte in acht Ländern bereist, um diese Menschen zu treffen.

Francois und Brady wollten herauszufinden, was Game Designer wie Lucas Pope („Papers, Please“) und Davey Wreden („The Stanley Parable“) antreibt. Herausgekommen ist ein überaus sehenswerter Film über das menschliche Verlangen nach Kreativität. WIRED Germany traf die beiden nach ihrer Deutschlandpremiere während der Berliner Games Week.

WIRED: Warum gerade jetzt ein Dokumentarfilm über Independent Games und die Menschen, die sie machen?
Lester Francois: Ich war schon immer begeisterter Gamer. Vor einigen Jahren habe ich als Regisseur an einer Sendung über Videospiele für das australische Fernsehen gearbeitet. Dabei habe ich Indie-Entwickler kennengelernt, die mit nur wenigen Leuten an einem Spiel arbeiteten — ein bemerkenswerter Unterschied zu der Masse an Menschen, die bei den großen Studios beschäftigt sind. Mir wurde klar, dass die Industrie sich derzeit im Umbruch befindet und ich wollte mehr Geschichten über diese unabhängigen Projekte bringen. Aber bei den Verantwortlichen für die Fernsehsendung stieß das auf taube Ohren. Also habe ich auf eigene Faust damit begonnen, einen Film über die Indie-Game-Szene zu drehen.
Anna Brady: Mein Blick auf Videospiele ist eher der eines Außenseiters. Ich spiele nur gelegentlich, aber was mich an der Szene begeistert, ist das hohe Maß an Kreativität. Das Medium wächst und entwickelt sich ständig weiter.
Francois: Eine persönliche Motivation, diesen Film zu machen, lag für mich  darin, dass ein Filmemacher, mit dem ich sehr gut befreundet bin, Videospiele abgrundtief hasst. Er hält sie für schädlich, sieht an ihnen allein die Gewalt und denkt, es gebe nur Shooter. Letztendlich haben wir „GameLoading“ also auch für ihn gemacht. Denn tatsächlich sind Games in den vergangenen Jahren zu einer vielseitigen Kunstform geworden, die für jeden etwas bereithält — auch für meinen Freund.
Brady: Mich erinnert die derzeitige Situation in der Videospielszene an den Umbruch in der Filmindustrie in den Siebzigern. Damals gingen die großen Studios, eines nach dem anderen, pleite. Und unabhängige Regisseure fingen an, den Film neu zu erfinden.

Es gibt keine Distanz zwischen den Entwicklern, die für große Firmen arbeiten und denen, die zu zweit in der Garage an einem Spiel herumschrauben.

Lester Francois

WIRED: Was hat euch während der Dreharbeiten am meisten überrascht?
Francois: Wie offen und herzlich die Szene gegenüber neuen Gesichtern ist. Jeder ist willkommen. Es gibt keine Distanz zwischen Entwicklern, die für große Firmen arbeiten und Menschen, die zu zweit in der Garage an einem Spiel herumschrauben. Jeder diskutiert mit jedem. Alle teilen ihre Erfahrungen miteinander. Unter Videospielentwicklern geht es viel harmonischer zu, als etwa in der Musikszene oder unter Filmemachern. Auf Musikfestivals verschanzen sich die Bands meistens in ihren Umkleideräumen. Auf Game-Festivals dagegen sieht man Entwicklerlegenden, die jungen Programmierern Ratschläge geben und ihnen mit konkreten Problemen weiterhelfen.

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WIRED: Inwiefern haben eure Einblicke in die Videospielszene eure Einstellung zum Filmemachen verändert?
Francois: In vielerlei Hinsicht. Es gibt unter Game Designern zum Beispiel den Begriff des „Open Development“. Damit ist gemeint, dass man von Anfang an möglichst transparent arbeitet. Wenn ein neues Projekt in Angriff genommen wird, startet man parallel dazu einen Blog und schreibt über den Fortschritt und die Rückschläge während des Entwicklungsprozesses. Man zeigt Screenshots von unfertigen Werken und dokumentiert seine Fehler. In der Filmindustrie ist das komplett unüblich. Dort behält man das gefilmte Rohmaterial für sich und lässt sich nicht in die Karten schauen — zumindest bis der Film fertig ist. Wir wollten das anders machen und hatten von Anfang an einen Blog, einen Twitter- und einen Facebook-Account. Wir haben ständig Fotos von den Dreharbeiten veröffentlicht und Interview-Clips von Menschen online gestellt, die wir unterwegs getroffen haben.
Brady: Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Bereitschaft vieler Indie-Entwickler, Risiken einzugehen. Videospiele sprechen eine neue Sprache, die noch längst nicht so etabliert ist wie die des Films. Daher probieren Game Designer ständig Sachen aus. Die Angst vor dem Versagen hält sie nicht davon ab, neue Wege zu gehen.
Francois: Viele Indie-Games sind sehr persönlich und versuchen, etwas über das Menschsein auszudrücken. Auf Videospiel-Festivals begegnen einem oftmals die seltsamsten Experimente, die es niemals auf Steam oder eine andere Gaming-Plattform schaffen würden. Bei diesen Events liegt eine kreative Energie in der Luft, die man förmlich spüren kann. Videospiele werden hier zum Mittel, um der eigenen Persönlichkeit Gestalt zu geben. Die Programme, um Spiele zu entwerfen,werden immer zugänglicher. Immer mehr junge Menschen benutzen Games als Ausdrucksform. Ich denke, wir werden in Zukunft noch viel mehr solcher Veranstaltungen sehen. Für uns ist der Besuch eines Indie-Game-Festivals jedenfalls viel inspirierender als ein Filmfestival.

Game Designer probieren ständig Neues aus. Die Angst vor dem Versagen hält sie nicht davon ab, neue Wege zu gehen.

Anne Brady, Regissuerin

WIRED: Habt ihr euch umgeben von so vielen Games jemals versucht gefühlt, euer Material in interaktiver Form zu präsentieren, anstatt als Film? Vielleicht als eine Art Doku-Spiel?
Francois: Es gab die Überlegung, „GameLoading“ als interaktive App zu veröffentlichen, aber das scheiterte am Budget. Auch sonst kommen uns immer mal wieder Ideen für kleinere Gameplay-Experimente. Derzeit mangelt es uns dafür aber an Zeit und Geld.

WIRED: Apropos Geld: Ihr habt eure Dokumentation ja über Kickstarter finanziert. Würdet ihr das anderen Dokumentarfilmern auch empfehlen? Wie waren eure Erfahrungen?
Brady: Das war nicht ganz leicht. Kickstarter ist ein gutes Werkzeug, um einen Film wie den unseren zu finanzieren. Aber Kickstarter bedeutet auch sehr viel Engagement und ein ständiges Auf-und-Ab der Emotionen. Wir haben 18 Monate an dem Film gearbeitet, bevor wir die Kickstarter-Kampagne gestartet haben. Auch wenn es so aussieht, als könne man mit Crowdfunding sehr leicht sehr viel Geld verdienen: Um damit Erfolg zu haben, ist gründliche Vorarbeit nötig.
Francois: Weil wir anfangs kaum Geld hatten, hat unser Kameramann Cam Matheson vorgeschlagen, es auf unseren Reisen zu Drehorten in Europa und in den USA mit Couchsurfing zu versuchen. Zunächst war ich etwas skeptisch. Aber dadurch, dass wir immer wieder bei anderen Menschen auf dem Sofa oder auf dem Fußboden übernachten mussten, haben wir viele interessante Gesprächspartner für den Film kennengelernt.

Es ist genauso wichtig, eine Programmiersprache zu beherrschen wie eine Fremdsprache.

Lester Francois

WIRED: In „GameLoading“ betont ihr mehrmals, wie einfach es heute ist, mit dem Programmieren anzufangen und sein eigenes Videospiel zu entwickeln. Warum war euch das wichtig?
Francois: Weil wir finden, dass es mittlerweile genauso relevant ist, eine Programmiersprache zu beherrschen wie eine Fremdsprache. Aus Gamern, die Videospiele konsumieren, werden Menschen, die verstehen, wie Videospiele funktionieren. Wenn man in jungen Jahren lernt, ein Instrument zu spielen, wächst im späteren Leben der Respekt für die Musik. Bei Videospielen funktioniert das genauso.
Brady: Jemand hat uns sogar geschrieben, dass er sofort, nachdem er „GameLoading“ gesehen hatte, damit begonnen hat, sein eigenes Spiel zu programmieren. Das fanden wir großartig.

WIRED: Die wenigsten, die ein Spiel in Eigenregie veröffentlichen, landen damit einen Hit. In „GameLoading“ zeigt ihr auch Menschen, die mit ihren Games scheitern.
Brady: Wir wollten uns nicht nur auf die Erfolgsgeschichten beschränken, sondern eine ausgewogene Sicht der Dinge präsentieren. Durch die Übersättigung des Marktes ist es nun einmal so, dass die Mehrheit der Indie-Entwickler keinen Erfolg hat, zumindest keinen finanziellen. Viele von ihnen machen trotzdem weiter, weil sie aus dem Prozess etwas lernen können.
Francois: Es gibt Entwickler, die Jahre in ihr Projekt investieren und damit ihre Karriere aufs Spiel setzen. Anderen geht es einfach nur darum, ein Spiel fertigzustellen und Feedback aus der Community zu erhalten. Sie freuen sich schon, wenn nur hundert Menschen ihr Spiel spielen.

Ich vermute, dass der Begriff ‚Indie‘ irgendwann überflüssig werden und man nur noch von ‚Games‘ sprechen wird.

Lester Francois

WIRED: Wie seht ihr die Zukunft der Szene?
Francois: Sie wird auf jeden Fall weiter wachsen. Wir werden noch viel mehr Innovation erleben. Ich vermute auch, dass der Begriff „Indie“ irgendwann überflüssig werden und man nur noch von „Games“ sprechen wird. In der Musik konnte man in der Vergangenheit ja ähnliches beobachten. Außerdem haben wir während der Dreharbeiten einen Trend erkennen können, der Videospiele wegführt vom Computer und wieder mehr mit der wirklichen Welt verbindet. Es gibt zum Beispiel Mobile-Games, die nur funktionieren, wenn man sich mit seinen Mitspielern vor Ort trifft und gemeinsam aktiv wird. Außerdem erlebt der Spielautomat gerade ein Revival, denn bestimmte Indie-Games werden ausschließlich für Arcade-Maschinen entwickelt. Für viele ist das ganz neu, da sie nie erlebt haben, dass früher überall Spielautomaten herumstanden. Als wir während der Dreharbeiten in Chicago waren, hat es uns total überrascht, dass dort in einigen Bars bereits wieder Arcade-Automaten zu finden sind. Doch anstatt „Pac-Man“ und „Pong“ spielt man an denen nun Indie-Games.

„GameLoading: Rise Of The Indies“ gibt es als Stream und Download auf der Website zum Film. Außerdem ist dort ein „Members‘s Bundle“ erhältlich, das zusätzlich den Soundtrack sowie ein E-Book enthält und laufend um weitere Extras ergänzt werden soll — zum Beispiel eine Dokumentation über die Indie-Game-Szene in Japan. 

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