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Erlebt Twitter gerade seinen Tod in Venedig?

von Max Biederbeck
Jetzt auch noch Foto-Sticker. Seit Mitgründer Jack Dorsey zu Twitter zurückgekehrt ist, fleht das Unternehmen geradezu um Zuneigung – vor allem von potenziellen neuen und jungen Nutzern. Vielleicht erinnert uns Twitter auch deshalb immer mehr an den tragischen Charakter aus einem alten literarischen Meisterwerk.

Lustige Smileys, Herzchen, Hüte, schräge Sonnenbrillen. Damit will Twitter jetzt neue User anlocken. Sticker, genau wie sie die Konkurrenten längst anbieten – der Facebook Messenger, WhatsApp, WeChat, Apple ab Oktober und vor allem Snapchat.

Egal. Jetzt sollen die lustigen Symbole ebenso bei Twitter auf Bildern pappen und dann auch als Hashtag dienen. Das Versprechen für die User: Auf den Hut klicken und andere Bilder, ebenfalls mit Hut, finden. Das Versprechen für die Werbekunden: Mit den bunten Bildchen in Text und Bild die passenden Kunden erkennen.

Die Sticker sind der neuste, recht verzweifelt wirkende, Versuch aus einer ganzen Reihe von Versuchen. Im Oktober kam Twitter mit seinem Moments um die Ecke, ein Feature mit kuratierten Tweets und Videos von Nachrichten-Events. Im Mai folgte Connect, eine Anwendung zum besseren Vernetzung der User. Das Unternehmen experimentierte damit, seine Zeichenbegrenzung aufzuweichen. Sogar die chronologische Timeline ging man an. Alles binnen weniger Monate. Bisher half es nichts. Die neuen und vor allem jungen Nutzer bleiben weg. Mit seinen Stickern, so fiel uns bei WIRED auf, verwandelt sich Twitter jetzt endgültig zum Gustav Aschenbach.

Ja, richtig gehört. Aschenbach, jener alternde Schriftsteller aus Thomas Manns weltbekannten Werk „Der Tod in Venedig“. Der disziplinierte Schreiber, der keinen richtigen Sinn mehr in seiner Arbeit sieht und deswegen vor dem Erwartungsdruck nach Venedig flieht, wo er sich in die Jugend selbst verliebt – den Jüngling Tadzio. In unserer Version der Geschichte wäre Tadzio der User selbst, der Twitter etwas zu verlockend angelächelt hat.

Denn Aschenbach oder Twitter geht es ähnlich: Das Unternehmen versucht sich dauernd zu verjüngen und um die Jugend zu buhlen. Sich so zu geben wie ein Snapchat, das es nun einmal einfach nicht ist – und so ohne weiteres auch nicht sein kann.

Genau wie Aschenbach hat Twitter dabei so viel Angst, seinem Geliebten nicht zu gefallen, dass es sich einer aufgesetzten Verjüngungskur unterzieht. Was in Manns Roman mit Pudern, Cremes und gefärbten Haaren passiert, geschieht in Dorseys Unternehmen stattdessen mit einem Netzwerk aus Pizzas, Eis und Katzensymbolen. Von außen betrachtet, schütteln Beobachter den Kopf anhand dieser Mischung aus Verblendung und Verzweiflung, die sich da über den alternden Meister legt, der doch eigentlich so gute Literatur schreiben könnte.

Im Tod in Venedig geht der Schriftsteller während und wegen seines Wahns aber Stück für Stück mehr dem Verfall entgegen. Am Ende folgt er Tadzio ins Meer, weil er den Bezug zur Realität verloren hat. Tadzio kann dort ohne Probleme schwimmen, Aschenbach schafft das in seinem Alter nicht mehr.

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