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E-Sports wird zum Gaming-Spektakel für die Massen

von Dominik Schönleben
E-Sports wächst aus dem Nischendasein heraus  – samt Profi­spielern und Bundesliga-Clubs, die eigene Vereine aufbauen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im April 2017. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Ein unterhaltsames Hobby suchte der BWL-Student Cengiz Tüylü, als er 2002 beschloss, das Management für ein Team im Ego-Shooter CounterStrike zu übernehmen. Die Gamer ­gaben sich den Namen mousesports, und zu ihren ersten Auftritten bei ­Tur­nieren fuhren die Spieler noch mit eigenen Autos, lauter alten Karren. Schnell aber schossen sich die Hobbyzocker an die Welt­spitze, und aus den Amateuren wurden Profis. 

Fast 20 Spieler hat mouse­sports derzeit unter Vertrag – alle Stars der Gaming-Szene, die ein Vermögen verdienen und um die Welt jetten, denn wichtige Wettbewerbe zu Echtzeit-­Strategiespielen, Sportsimulationen und Ego-Shootern ziehen ein weltweit wachsendes Publikum an. „Andere Sportarten wären froh, wenn sie so viel Reichweite wie E-Sports hätten“, sagt Tüylü, der mousesports als Geschäftsführer zu einem der erfolgreichsten deutschen Teams gemacht hat.

„Noch vor Monaten als Nische für wenige Hardcore-Gamer unterschätzt“, sei E-Sports nun dabei, „im Ex­press­tempo“ den Mainstream zu er­obern, stellt die Unternehmensberatung Deloitte in einer Studie zum deutschen Markt der Profi-Gamer fest. Schon für 2020 erwarten die Analysten einen Umsatz von 130 Millionen Euro im Jahr. Das wäre fast dreimal so viel wie im vergangenen Jahr.

Schon heute verdienen die besten Spieler durch Preisgelder und Werbe­verträge Millionen. Teams – auch Clans genannt – treten in Profi-Ligen gegeneinander an, füllen ganze Stadien mit ihren Auftritten. 424 Digital-Wettkämpfe fanden es im vorigen Jahr weltweit statt, die meisten davon in Asien und Nordamerika, den Hochburgen des E-Sports. Auch Live-Übertragungen mit Kommentaren, Analysen nach dem Match und Talkrunden wie Doppelpass gibt es für Videospiele – nur eben nicht zur Prime-­Time im Fernsehen, sondern als Stream im Internet.

Wie wichtig E-Sports geworden ist, vor allem, um junge Menschen zu erreichen, zeigt das rasant wachsende Interesse traditioneller Fußballvereine. Ganz vorn dabei sind der VfL Wolfsburg und Schalke 04: Beide bauen gerade eigene Profi-Teams auf und suchen Nachwuchstalente, die nicht auf dem Bolzplatz kicken, sondern digital in der FIFA-Liga. Auch dort stehen Fußballer auf dem Rasen – nur eben virtuell, gesteuert von den Menschen, die am Rechner sitzen. Sitzen. Nicht laufen, grätschen oder springen.

Das bringt den Gamern immer wieder den Vorwurf ein, nicht wirklich Sportler zu sein. Dabei verausgaben Profi-Gamer sich nicht weniger als andere Athleten, wie Studien zeigen. Denn die Wettkämpfe am Bildschirm verlangen höchste Konzentration, ungewöhnlich viel feinmotorisches Geschick und bringen das Herz ähnlich zum Rasen wie bei Marathonläufern. „Wenn Curling olympisch ist, kann man fragen, warum E-Sports es nicht auch sein sollte“, sagt Timm Lutter vom Branchenverband der Digitalindustrie, Bitkom. 

Für Fans scheinen solche Diskussionen ohnehin keine Rolle zu spielen. Seit 2014 hat die Zahl der Zuschauer bei E-Sports-Übertragungen um 50 Prozent zugenommen, meldet der Marktforscher Newzoo. Mehr als 323 Millionen Menschen waren das weltweit im vorigen Jahr, bis 2020 sollen es fast 600 Millionen werden. Enthusiasten kaufen Eintrittskarten, Trikots und Baseball­Kappen, um ihre Lieblingsteams zu unterstützen.

E-Sports wird den regulären Sport nicht ablösen. Er wird ein Teil davon, er wird auf der gleichen Ebene laufen 

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Die Entwickler der Spiele sehen derweil die Chance, mit E-Sports neue Kunden zu finden und über Jahre hinweg an sich zu binden – ein weit besseres Geschäft, als ab und zu Games zu verkaufen, wenn sie frisch herauskommen. Zumal die Entwicklung der Spiele immer teurer wird. Damit die Rechnung aufgeht, müssen die Hersteller bei Turnieren präsent sein, etwa durch Preisgelder: Über 93 Millionen Dollar schrieben Studios wie Blizzard, Valve oder Riot Games im vorigen Jahr an Gewinnen aus.

Viele Profi-Spieler verdienen das meiste Geld aber nicht bei Wettbewerben, sondern wenn Fans ihnen beim Training zuschauen. Gaming-­Plattformen wie Twitch, Azubu oder Hitbox zahlen für die Streaming-Rechte und finanzieren sich über Werbe-­Einblendungen. Fans können während der Live-Übertragung miteinander chatten und Tipps austauschen. Den Zuschauerrekord hält der Südkoreaner Lee Sang-hyeok, der beste League-­of-Legends-­Spieler der Welt: Um ihn zu sehen, schalteten einmal 245.000 Zuschauer gleichzeitig ein.

Keinem Anbieter ist es so erfolgreich gelungen wie Twitch, um Live-Übertragungen herum eine engagierte Community aufzubauen: Fast zehn Millionen Besucher kommen täglich auf die Seite und bleiben im Durchschnitt 106 Minuten – ähnlich lange wie bei einem Spielfilm. Die Begeisterung der Nutzer war Amazon 970 Millionen Dollar wert: 2014 schluckte der Online-­Riese das gerade drei Jahre alte Start­up und bemüht sich seitdem, seinen Vorsprung zu halten.

Ursprünglich hatte auch Google Interesse gezeigt, Twitch zu übernehmen, entschied sich dann aber dafür, lieber Youtube auszubauen. Mit Exklusiv­deals versucht Google nun, Top-Spieler von Twitch abzuwerben. Eine Abwanderungswelle sei aber bisher nicht zu beobachten, sagt Daniel Knapp, Medienexperte beim Daten­analysten IHS Markit: „Wir sehen eher, dass prominente Gamer dazu übergehen, einen Live-­Stream zeitgleich auf Youtube und Twitch anzubieten.“

Gemessen an der Zahl der Zuschauer, haben Spiele-Turniere bereits traditionelle Sportarten wie Tischtennis überholt. Wie populär kann kommerzielles Gaming werden? „E-Sports wird den regulären Sport nicht ablösen“, glaubt Michael Bister, Deutschland-­Chef der ESL, der größten E-Sports-­Liga der Welt. „Er wird ein Teil davon, er wird auf der gleichen Ebene laufen.“

Selbst dafür muss E-Sports aber zunächst ins Fernsehen, um ein größeres Publikum zu erreichen. So wie im Juni 2016, als Sport1 das Finale der ESL-Bundesliga übertrug. Ein Saison-­Highlight, wie geschaffen für das Fernsehen: „Der Event-­Charakter der Final­spiele“, schwärmt Deloitte, „macht sie zum idealen TV-Content.“ 

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